Wissenschaftler verhalten sich beim Wissenschaftlern wie solche, die in stock-dunkler Nacht Verlorenes im Umkreis der Straßenlaterne wiederfinden wollen. Im Prinzip kommt da nicht viel raus. Neues jedenfalls nicht. Wenn ich etwas suche, hab ich ja schon eine Ideee vom Gesuchten.
Passioniert Lesende sind von ganz anderer Natur: Sie suchen nichts, schon gar nicht im Schein von Straßenlaternen, sie fischen eher im Trüben, streunen in stock-dunkler Nacht herum und: stolpern oft über etwas, was sie nicht gesucht haben, was sich aber als regelrechter Glücksfund herausstellt.
Ich lese oft und gern, auch Zeitschriften, gute Zeitungen und Magazine. Völlig ungezielt. Die Informationen, die ich benötige, such ich im Netz. Aber das Lesen ist keine Suche, das ist ein Aufbruch ins Ungewisse, ein Abenteuer.
Jüngst stolpere ich über das Interview mit der 87jährigen Swetlana Geier in „Der Spiegel“ (17 / 2010, Seite 138 ff). Ja sowas, eine 87jährige, da hätte ich nie nach gesucht, eine Russin, die Dostojewski übersetzt, da hätte ich nie nach gesucht.Jetzt habe ich Sätze der Frau gefunden, die könnte man in Stein meißeln, nein, die müsste man in Stein meißeln. Damit Ihr nicht lange suchen müsst, zitiere ich hier Passagen, über die ich insbesondere ins Grübeln gekommen bin: |
„Und natürlich sind die Russen, weil sie materiell ärmer sind, unabhängiger als die Deutschen. Für die Deutschen ist ein Eigenheim ein Wert, sogar für die jüngere Generation. Und die Sprache kommt dem zu Hilfe. Der Deutsche lebt dank seiner Hilfsverben. Sein und haben. Ich habe. Und wenn ich nicht habe, dann ist es nicht gut. … Auf Russisch kann ich das gar nicht sagen. Der Deutsche sagt: Ich habe ein Haus. Subjekt, Prädikat, Akkusativobjekt. Im Russischen verliert man seinen Akkusativ, man ist dann nicht mehr Subjekt. Es heißt: Das Haus ist bei mir. Wenn ich keine Russin wäre, würde ich deshalb eine Russin werden wollen. Die Dinge halten sich bei mir nur eine begrenzte Zeit auf. Ist das nicht phantastisch! Wenn die Deutschen das nur begreifen würden. Man ist freier. Und die ganzen, armen Russen, die nichts haben, ich möchte da nicht leben mit einer Familie, weil es viel zu mühselig ist, aber die Russen sind freier.“
Und etwas weiter im Interview heißt es:
„Müde? Die Vokabel kenne ich nicht. Ich habe, seit meine Kinder klein waren, keine Ferien mehr gemacht. Und ich habe auch kein Bedürfnis mehr nach Freizeit. Das schönste Märchen unserer Zeit ist es, sein Geld selbständig mit Dingen zu verdienen, die man am liebsten tut.“