Mein Lieblingstheaterstück heißt „Gott“, geschrieben hat es einer meiner Lieblingsautoren, Woody Allen. Spielen können wir es nicht, weil es zu viele Rollen hat, die man nicht doppelt besetzen kann. Man braucht mindestens 13 SpielerInnen. „Der Gott des Gemetzels“ ist das derzeitige Erfolgsstück von Yasmina Reza, deren „Drei Mal Leben“ wir mit Ulrich Mühe und Susanne Lothar in Wien gesehen und auch selbst inszeniert haben. „Gott ist ein DJ“ ist ein Stück von Falk Richter, welches bei uns aller Wahrscheinlichkeit nach kein Publikum finden würde. Gibt man bei Theatertexte den Begriff „Gott“ ein, kriegt man rund 50 Treffer in allen Sparten. Das geht von „nullvier - Keiner kommt an Gott vorbei“ (Musical von Enjott Schneider zum 100jährigen Jubiläum des FC Schalke 04) über „Des Menschen Unterhaltsprozess gegen Gott“ (Musiktheater, Pedro Calderón de la Barca) und „Gott der Träume“ (Don DeLillo) oder „Krach im Hause Gott“ (Felix Mitterer) bis zu „Gott im Wienerwald“ (Peter Turrini) und „Der Mann, der Gott im Schrank hatte“ von Michael Walczak. Dieses letzte zum Beispiel, ein Schauspiel, zu besetzen mit drei Damen und vier Herren, wird vom Verlag (Österreichischer Bühnenverlag Kaiser & Co. GmbH) so beschrieben:
„Adam und Kama verdanken ihre ersten intimen Erfahrungen der sturmfreien Bude während des Papstbesuchs. Auch die sehr gläubige Frau ist mit ihrem besten Hut am Kopf zum Papst gepilgert. Der Mann, der Gott im Schrank hat, geht nicht zum Papstbesuch, sondern isst lieber mit Gott gemeinsam Pizza. Doch wo bleiben die Antworten auf seine Fragen? Ein zynisches Stück über Glauben, Kirche und Gott.“
Mal angenommen, ich hätte das Geld, zum „Stamm“ fünf zusätzliche SchauspielerInnen zu engagieren, angenommen, das Stück würde mir gefallen – könnte ich das so in meine Ankündigungen (Print und online) übernehmen: „Ein zynisches Stück über Glauben, Kirche und Gott.“ ??? Ich kann mir schon vorstellen, wer da alles aufmarschieren und intervenieren würde. Es gäbe ne Menge Trouble, vor allem, wenn der Inhalt dem entspricht, was propagiert wird. Und das Schöne: Die meisten Opponenten würden opponieren, ohne es gelesen, geschweige denn gesehen zu haben. Wer provozieren möchte, vor allem, wenn er „Gott“ noch durch Synonyme ersetzen würde, ist wahrscheinlich gut dran mit „Der Mann, der Gott im Schrank hatte“. Nun hab ich aber noch alle Tassen im Schrank und frage mich, warum soll ich ein Stück machen mit einer Figur, die nie jemand gesehen hat, die sich allem Erfassen entzieht, die nicht zu begreifen ist, aber von so vielen doch benutzt wird, als Supernanny („Nimm den Finger aus der Nase, der liebe Gott sieht alles!“) oder Sachwalter der eigenen Herrlichkeit („Herrscher von Gottes Gnaden“) oder als Alibi für die verrücktesten Lebensentwürfe oder als Prejektion der eigenen Allmachtsphantasien? Warum soll ich mich da in irgendwelche Nesseln setzen? Hatte der eine Physik-Gigant, Albert Einstein, noch an ihn geglaubt und über ihn gesagt: „Gott würfelt nicht“, so stellt der aktuellere Physik-Grande, Stephen Hawkings, in einem brandneuen Buch fest: „Gott ist tot“. Soll ich Hawkings glauben? Und warum soll ich dann ein Stück mit dieser Projektion machen? Woody Allen ist kein Physiker. Aber in „Gott“ muss der Sklave eine Botschaft an den König überbringen. Und diese Botschaft lautet doch tatsächlich „Gott ist tot“. Jetzt muss der König alles, was er bisher angeblich in SEINEM Namen getan hat, verantworten. Er will, um das zu vermeiden, den Boten umbringen, so dass Gott weiterhin nicht in Frage gestellt ist und er als König schalten und walten kann wie bisher. Und so halten es die kleinen und großen Könige dieser Welt, all’ die Herrscher, Patriarchen, Präsidenten, Häuptlinge, Clanchefs, Bosse. Sie wollen uns schön gottes-fürchtig halten, damit sie umso bequemer herrschen können. Über den Zeus der Griechen konnten wir lachen, auch über den Manitou der Indianer. Aber diese bewusst amorph gehaltene Idee, für die man auf Kreuzzug gegangen ist, in deren Namen heilige Kriege angezettelt werden, die für alles herhalten muss(te), was man Menschen antun kann, sogar als Auftraggeber für Stock- und Peitschenhiebe, welche strenge Sektierer ihren Kindern verpassen zu müssen glauben, oder für die Steinigung durch Vergewaltigung schwanger Gewordener, über die darf keinesfalls gelacht werden, über deren Stellvertreter auf Erden darf man keine Witze oder Karikaturen machen, denn: Die hat die Funktion, die Woody meint, wenn er zum Thema Gott auch sagt: „Wenn es einen gibt, dann ist der Mensch nicht allein verantwortlich für seine Taten.“ Ja klar: Manche Taten sind ja so schlimm, dass die Täter einfach einen brauchen, auf den sie es schieben können. Das ist doch entlastend, exculpierend. Also „Gott“ von Woody Allen muss ich demnächst doch mal machen. Ich suche Sponsoren. Andererseits muss ich erst das Stück zu Ende und heraus bringen, welches mit dem Satz beginnt: „Noch jemand zugestiegen?“ Die Frage richtet sich an all die Umsitzenden, die das Holo-Deck bevölkern. Ihr wisst schon? Oder ahnt wenigstens? Dann zückt Eure Fahrtausweise oder den Geldbeutel zum Nachzahlen. Und es hat, weiß Gott, seinen Preis. Da die Enterprise reichlich Schrott ist, seid Ihr ziemlich erleichtert, nicht durch die Galaxien zu fliegen, sondern angehalten worden zu sein und nun auf dem Abstellgleis fürbass zu stehen. Das scheint ja ziemlich verrückt zu sein, aber immer noch besser, als an visueller Agnosie, der sogenannten Seelenblindheit erkrankt zu sein, wie „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“, von dem Oliver Sacks, der Hüter der heiligen Narren berichtet. Oliver Sacks muss ja so ein heiliger Narr sein, soll er sich doch am liebsten in Räumen aufhalten, in denen eine Temperatur von 14 Grad Celsius herrscht. Irgendwie freundlich-exzentrisch im Wesen, legt er dem Vernehmen nach eine fast sagenhafte und Ehrfurcht gebietende Neugier auch auf eher abseitige Dinge an den Tag. Über einige große Naturforscher (darunter Alexander von Humboldt) schrieb Sacks (2002 in „Die feine New Yorker Farngesellschaft“): „Sie alle waren in einem gewissen Sinne Amateure – Autodidakten, die aus eigenem Antrieb handelten – und sie lebten, so schien es mir manchmal, in einer glücklichen Welt, in einer Art Paradies, das noch nicht von den geradezu mörderischen Rivalitäten einer zunehmend professionalisierten Welt infiziert und erschüttert war.“ Und seine Patienten waren für ihn (wie er in „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“ einmal sagt) „Reisende, unterwegs in unvorstellbare Länder – Länder, von deren Existenz wir sonst nichts wüssten“.